Korruption, Kaviar, Kanzlerdämmerung: Die Union erhält eine Lektion in Demut

Das Bündnis von CDU und CSU steckt in der Krise. Die Maskenaffäre und die «Aserbaidschan-Connection» haben Vertrauen zerstört. Nun steht die Frage im Raum, ob die Union ein systemisches Problem hat und dafür bei der Bundestagswahl abgestraft wird.

Christoph Prantner, Jonas Hermann, Berlin
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Die CDU-Zentrale in Berlin. Die Umfragewerte der Union für die Bundestagswahl zeigen steil nach unten.

Die CDU-Zentrale in Berlin. Die Umfragewerte der Union für die Bundestagswahl zeigen steil nach unten.

Sean Gallup / Getty

Armin Laschet gab sich alle Mühe, den Ball flach zu halten. Die Union, sagte der CDU-Chef am Dienstag in der Fraktionssitzung im Bundestag, habe die aktuellen Affären schnell bereinigt. Man habe kein strukturelles Problem, es gehe um Einzelfälle. Unter dem Murren der Parteifreunde stellte er einen «Verhaltenskodex» in Aussicht, der gierige Abgeordnete im Zaum halten soll. Ein Maskenskandal oder die «Aserbaidschan-Connection» – das werde der Partei nicht mehr so schnell passieren.

Bloss: Affären lassen sich nicht per Verordnung beenden. «Dieses Fass ist offen. So schnell bringen wir den Deckel nicht wieder drauf», berichtet ein Teilnehmer der NZZ nach der Sitzung. Mal zehn, dann wieder zwölf Bundestagsabgeordnete sollen neben ihren Mandaten zwielichtige Geschäfte gemacht haben. Seit Wochen vergeht kaum ein Tag ohne neue Enthüllungen. Die Vorwürfe wiegen schwer, die Union gibt ein verheerendes Bild ab.

Während Deutschland wegen der Pandemie in einer der schwersten Krisen ihrer Geschichte steckt, hatten sich Unionspolitiker an Geschäften mit Corona-Schutzmasken bereichert. Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ging es für die CDU schon vor zwei Wochen bergab. In Umfragen für die Bundestagswahl zeigt die Kurve für die Union weiter steil nach unten.

Was der Abstieg in der Wählergunst für die Union bedeuten könnte, zeigt sich zum Beispiel in Baden-Württemberg. Bei der vergangenen Bundestagswahl hat die CDU dort alle Wahlkreise per Direktmandat gewonnen. Nun stehen CDU und CSU in den Umfragen aber bei etwa 27 Prozent «und damit können manche hier ihre Wahlkreise schon jetzt abschreiben», sagt ein ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter aus dem Südwesten. Selbst ein beliebter Wahlkreiskandidat schwimme immer im Bundestrend mit, und die Union sei in Misskredit geraten.

Das liegt freilich nicht nur an den Affären, sondern auch an der unionsgeführten Bundesregierung – denn die Unzufriedenheit mit der Corona-Politik wächst. Mitte der Woche musste Kanzlerin Angela Merkel den undurchdachten Plan zurücknehmen, das Land über die Ostertage in einen verspäteten Winterschlaf zu versetzen. Sie gestand vor laufenden Kameras einen Fehler ein. Hintergrund dürfte auch der Druck aus der Unionsfraktion gewesen sein. Dort klagten Abgeordnete, die Pandemie-Politik sei den Bürgern nicht mehr vermittelbar.

In der Fraktion gärt es, was auch mit Fällen wie demjenigen von Nikolas Löbel zu tun hat. Der soziale Aufsteiger holte bei der vergangenen Bundestagswahl das Direktmandat in Mannheim und sass mit gerade einmal 31 Jahren im Parlament. Der Erfolg dürfte ihn selbst überrascht haben: Sein Jurastudium hatte er in den Sand gesetzt. In der Jungen Union, der Jugendorganisation von CDU und CSU, sei er nie besonders beliebt gewesen, erzählt ein junger CDU-Funktionär. Löbel habe aber einen Machtinstinkt und sich «hochgemauschelt».

Für 250 000 Euro die Karriere aufs Spiel gesetzt

Vergangenes Jahr hatte der Mannheimer über seine Projektmanagement-Firma 250 000 Euro Provision erhalten, weil er FFP2-Masken an zwei Betreiber von Altersheimen und Kliniken vermittelt hatte. Nachdem die Angelegenheit Anfang März publik geworden war, legte er sein Bundestagsmandat nieder und trat aus der CDU aus. Juristisch betrachtet dürfte der Fall kein Nachspiel haben, doch in der Union findet sich niemand, der Löbel verteidigt. Zu offensichtlich ist der Verstoss gegen die Anstandsregeln.

In der Bredouille stecken CDU und CSU, weil sie den Fehltritt nicht als Einzelfall darstellen können. Einige Tage vor Löbel war Georg Nüsslein, damaliger Vizechef der Unions-Bundestagsfraktion, wegen ähnlicher Vorwürfe in Erklärungsnöte geraten. Der Politiker soll über sein Unternehmen Tectum Holding mehr als 600 000 Euro Provision für die Vermittlung von Schutzmasken erhalten haben. Die Generalstaatsanwaltschaft München ermittelt wegen Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern. Sie liess 13 Objekte in Deutschland und Liechtenstein nach Beweismitteln durchsuchen. Der 51-jährige Nüsslein hat sein Bundestagsmandat nicht niedergelegt, verliess aber die Fraktion und trat aus der CSU aus.

Die Affäre zog Kreise: Der siebzigjährige CSU-Politiker Alfred Sauter ist offenbar ebenfalls verstrickt. Er soll 1,2 Millionen Euro erhalten haben. Genau wie Nüsslein bestreitet er, etwas Unrechtes getan zu haben, legte aber alle Parteiämter nieder und trat aus der CSU-Fraktion im bayrischen Landtag aus. Am Donnerstag verhaftete die Polizei zudem einen Geschäftspartner von Nüsslein und Sauter. Dieser stolperte schon Ende der neunziger Jahre über den Skandal um eine Wohnungsbaugesellschaft und musste als bayrischer Justizminister zurücktreten. Seine Karriere setzte er dennoch fort.

Der König der Nebeneinkünfte

Sauter ist Rechtsanwalt und gehört damit zu der Gruppe von Politikern, die für ihren hohe Nebenverdienst bekannt ist. Der König der Nebeneinkünfte scheint der CSU-Politiker und Rechtsanwalt Peter Gauweiler zu sein. Der 71-Jährige war Vizeparteichef und sass bis 2015 im Bundestag. Laut «Süddeutscher Zeitung» soll er in seiner Zeit als Abgeordneter allein vom Milliardär August Baron von Finck elf Millionen Euro erhalten haben. Dabei handelte es sich offenbar um Honorare für die Beratertätigkeit als Anwalt.

Dass ein hoher Nebenverdienst die politische Karriere nicht behindert, zeigte sich vergangenes Jahr, als der badische CDU-Abgeordnete Stephan Harbarth zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts gewählt wurde. Seitdem ist er qua Amt einer der wichtigsten Männer im Staat. Vor seiner Ernennung war er Vizefraktionschef der Union und Partner in einer Anwaltskanzlei gewesen. Dort soll er laut Medienberichten mindestens 75 000 Euro verdient haben – pro Monat. Vor seiner Ernennung zum Präsidenten des Verfassungsgerichts kam die Frage auf, wie Harbarth neben seiner Arbeit als Abgeordneter und stellvertretender Fraktionschef so hohe Einkünfte erzielen konnte.

Ein alter Verdacht

Löbel, Nüsslein, Sauter – diese Namen werden die anderen Parteien der Union im Wahlkampf um die Ohren schlagen. Wieder einmal scheint sich der Verdacht zu bestätigen, dass manche Politiker von CDU und CSU eine übergrosse Nähe zu Unternehmen pflegen und dabei in die eigene Tasche wirtschaften. Trotz Verlusten bei fast allen wichtigen Wahlen der vergangenen Jahre ist und bleibt die Union eine Machtmaschine. Kein anderes politisches Bündnis besetzt derart viele Schlüsselpositionen. Wer nicht zuletzt der Karriere wegen in die Politik geht, ist bei der Union richtig. Das zieht Glücksritter an.

«Wir sind zu lange dran, es gibt zu viele Netzwerke», sagte ein CDU-Funktionär im Gespräch mit der NZZ. 16 Jahre lang führen CDU und CSU nun die Bundesregierung und stellen seit langem Ministerpräsidenten in zahlreichen Bundesländern. Es habe sich eine «Mitnahmementalität» entwickelt, fürchtet der CDU-Funktionär. Der Schaden sei so gross wie bei der Spendenaffäre des CDU-Kanzlers Helmut Kohl, der üppige Parteispenden am Fiskus vorbeigeschleust hatte. Auch Kohl war 16 Jahre an der Macht.

Die beiden Schwesterparteien haben jetzt keine andere Wahl, als hart durchzugreifen. CSU-Chef Markus Söder will, dass CSU-Abgeordnete im bayrischen Landtag sämtliche Nebeneinkünfte offenlegen und nebenbei keine bezahlte Interessenvertretung mehr wahrnehmen. Auch in der Bundestagsfraktion soll sich einiges ändern. «Wir beschliessen nun Regelungen, die solches Fehlverhalten künftig unmöglich machen sollen», sagte der Vizefraktionsvorsitzende Thorsten Frei der NZZ. Bezahlter Lobbyismus soll den Abgeordneten verboten werden.

Für den seit zwei Monaten amtierenden CDU-Chef Armin Laschet sind die Skandale die erste Bewährungsprobe. Nach den verlorenen Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz versuchte Laschet bei einer Pressekonferenz, Optimismus zu verbreiten, was ihm niemand abnahm. Am Montag steht eine Sondersitzung des Parteipräsidiums an. Dort dürfte es erneut darum gehen, die richtigen Lehren aus den vergangenen Wochen zu ziehen.

Abgeordnete im Bann der «Kaviardiplomatie»

Die Verdachtsmomente im zweiten Strang der Affäre, der «Aserbaidschan-Connection», reichen deutlich weiter zurück. Die Generalstaatsanwaltschaft München untersucht einen Zeitraum von 2008 bis 2016. Auch hier geht es um Korruptionsverdacht. Im Fokus der Ermittlungen: die vor wenigen Tagen verstorbene CDU-Bundestagsabgeordnete Karin Strenz, ihr Fraktionskollege Axel Fischer und der ehemalige Staatssekretär im Bundesinnenministerium und CSU-Abgeordnete Eduard Lintner.

Alle drei stehen im Verdacht in der parlamentarischen Versammlung des Europarates verdeckt für die autoritär regierte Republik Aserbaidschan lobbyiert zu haben. Dafür soll Geld aus Baku über verschachtelte Firmenkonstruktionen geflossen sein. Lintner soll über seine Gesellschaft zur Förderung der deutsch-aserbaidschanischen Beziehungen mbH mehrere hunderttausend Euro bezogen haben. Strenz sind aus einer anderen Firma Lintners, der inzwischen liquidierten Line M-Trade UG, zumindest 22 000 Euro als Beraterhonorar zugeflossen, ohne dass eine erkennbare Gegenleistung zu verzeichnen gewesen wäre.

Bei Lintner und Strenz wurden bereits im Januar 2020 Hausdurchsuchungen durchgeführt, die Immunität von Strenz wurde damals aufgehoben. Beim Karlsruher Abgeordneten Fischer rückte das BKA Anfang März an und stellte Unterlagen und Computer sicher. Die Materialien seien so umfangreich, dass sich deren Auswertung in die Länge ziehe, erklärte ein Staatsanwaltschaftssprecher. Mit einem Ergebnis sei womöglich erst Ende des Jahres zu rechnen.

Juwelen, Kaviar und wohlwollende Wahlbeobachter

Für den Chef der European Stability Initiative (ESI), Gerald Knaus, ist es erstaunlich, dass in der Sache so lange nichts geschehen ist. Seine NGO hat im Jahr 2012 einen Bericht mit dem Titel «Kaviardiplomatie: Wie Aserbaidschan den Europarat zum Schweigen brachte» veröffentlicht. Darin habe die ESI, erklärt Knaus im Gespräch mit der NZZ, mangels Belegen für die Bestechlichkeit einzelner Abgeordneter «nicht gezeigt, wer Geld nimmt, sondern wer sich wie verhält».

Tatsächlich habe es, schreibt die ESI, von Abgeordneten aus verschiedenen Ländern und Parteien über die Jahre immer wieder äusserst freundliche Einlassungen gegenüber Baku gegeben. Sie reichten von der Ablehnung eines Berichtes zu politischen Gefangenen über positive Bekundungen zum autoritären Regime von Präsident Ilham Alijew bis hin zu wohlwollend ausgefallenen Wahlbeobachtermissionen.

Als Gegenleistung sollen die Abgeordneten prall gefüllte Geldkuverts, Juwelen, Seidenteppiche und auch Kaviar erhalten haben. Obwohl eine interne Untersuchung des Europarates 2018 die Zustände bestätigte, kam es in der Sache bisher erst zu einer Verurteilung. Ein Gericht in Mailand schickte den Christlichdemokraten und früheren Kammerabgeordneten Luca Volontè im Januar 2021 wegen Korruption – es ging um 2,39 Millionen Euro – für vier Jahre hinter Gitter.

Weil sie die zahlenmässig grösste war, stand für Baku die Fraktion der EVP im Europarat im Fokus – und mit ihr Lintner, Strenz und Fischer. Die Verfahren gegen die deutschen Abgeordneten sind nach dem italienischen Prozess erst die zweite Strafsache in Europa. Für Knaus ist das nur schwer nachzuvollziehen: Das Geflecht aus Briefkastenfirmen in Estland oder Grossbritannien, die Geldflüsse über eine dänische Bank – all das sei bereits 2012 bekannt gewesen und über die Jahre weiter benutzt worden: «Es gibt ein klares Muster, das von Volontè bis zu den deutschen Verfahren reicht.»

Abgeordnete weisen Vorwürfe scharf zurück

Neben Lintner, Strenz und Fischer gibt es auch Vorwürfe gegen den CDU-Bundestagsabgeordneten Olav Gutting und Nikolas Löbel sowie den CSU-Mann Tobias Zech wegen übermässiger Aserbaidschan-Freundlichkeit. Löbel, Zech und der kürzlich aus der CDU ausgetretene Thüringer Mandatar Mark Hauptmann legten ihre Mandate nieder. Zech vor allem wegen eines Beratungsauftrags für den früheren mazedonischen Ministerpräsidenten Nikola Gruevski, der rechtskräftig wegen Korruption verurteilt und flüchtig ist. Hauptmann zunächst wegen auffälliger Anzeigenschaltungen Aserbaidschans in seiner CDU-Lokalpostille «Südthüringen Kurier».

Ende der Woche kam zudem heraus, dass der Thüringer nicht nur gute Kontakte zu Baku pflegte, sondern entgegen anderslautenden Versicherungen auch fette Provisionen für Maskengeschäfte eingestrichen hatte. Es geht um knapp eine Million Euro. Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft ermittelt gegen Hauptmann wegen des Verdachts der Bestechlichkeit. Am Donnerstag wurden seine Büros und Wohnungen durchsucht, am Freitag trat auch er aus der CDU aus.

Das Verfahren gegen Strenz wird wegen ihres Todes auf dem Rückflug von Kuba nach Frankfurt eingestellt werden, sobald die Todesursache geklärt ist. Fischer und Gutting erklärten auf Anfrage, dass sie die erhobenen Anschuldigungen auf das Schärfste zurückweisen. Eduard Lintner sagte der NZZ, die Vorwürfe gingen ins Leere. Er habe sich nicht strafbar gemacht. Alle Geldflüsse seien öffentlich gemacht und versteuert worden. Den Vorhalt, Baku willfährig eine weisse Weste bescheinigt zu haben, bezeichnete er als «völligen Unsinn».

Legitimes Lobbying, moralischer Kompass

Die Grenzen zwischen legitimer politischer Einflussnahme durch Bundestagsabgeordnete, verdecktem Lobbyismus und der Bestechlichkeit von Mandatsträgern sind mitunter schwer zu ziehen. Das zeigt auch der Fall Philipp Amthor aus dem vergangenen Sommer. Der CDU-Mann hatte für ein IT-Unternehmen in Berlin Türen geöffnet und war im Gegenzug mit Aktienoptionen bedacht worden. Illegal war das nicht, legitim aber auch nicht.

Am Donnerstag wurde im Nachhall der Affäre Amthor das lange verhandelte Lobbyregister im Bundestag beschlossen. Es verpflichtet professionelle Interessenvertreter unter anderem dazu, sich in ein öffentlich zugängliches Register einzutragen und dort Angaben über Auftraggeber und finanzielle Aufwendungen zu machen. Gebracht hätte das in den aktuellen Fällen nichts, da Bundestagsabgeordnete nicht darunter fallen. Für sie sollen nun aber eigene, strenge Transparenzregeln des Parlamentes beschlossen werden.

Die Fraktionsspitzen von Union und SPD einigten sich in der Nacht zum Freitag darauf, dass Bundestagsabgeordnete in Zukunft viel genauer über ihre Nebeneinkünfte Auskunft geben sollen. Die Koalition will, dass alle Einkünfte über 3000 Euro pro Jahr exakt angegeben und veröffentlicht werden müssen. Firmenanteile sollen auch bei Minderheitsbeteiligungen unter 25 Prozent gemeldet werden müssen. Überdies soll Abgeordnetenbestechlichkeit nicht mehr als Vergehen, sondern künftig strafrechtlich als Verbrechen geahndet werden.

Herr Zech weist die «Vorwürfe wegen übermässiger Aserbaidschan-Freundlichkeit» entschieden zurück und hat hierzu gegenüber der NZZ folgende Erklärung abgegeben: Herr Zech hat sich als Bundestagsabgeordneter und Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates stets für die Achtung der Menschenrechte und einen friedlichen Austausch unter den Nationen eingesetzt. Herr Zech hat sich zu keinem Zeitpunkt gegenüber der Regierung von Aserbaidschan unangemessen freundlich geäussert oder verhalten.

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