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Bei "Markus Lanz" CDU/CSU-Abgeordnete verwickelt: Soziologe erklärt, wie Aserbaidschan EU-Politiker kauft

Soziologe Gerald Knaus bei Markus Lanz
Soziologe Gerald Knaus erläutert bei "Markus Lanz" die Vorgänge der Aserbaidschan-Affäre, wegen der gegen mehrere Politiker:innen der Union ermittelt wird.
© Screenshot ZDF
Seit einigen Wochen erschüttern Lobbyverfehlungen und Korruptionsermittlungen gegen Abgeordnete CDU und CSU. Neben dem Maskenskandal steht die Aserbaidschan-Affäre im Fokus. Bei "Markus Lanz" berichtete der Soziologe Gerald Knaus erschütternde Details.

Am Freitag wurde der nächste CDU-Austritt gemeldet: Der Ex-Bundestagsabgeordnete Mark Hauptmann aus Thüringen verließ die Partei. Der 36-Jährige war einer Aufforderung seines Landesverbandes gefolgt, nachdem bekannt geworden war, dass er sich an der Vermittlung von Corona-Schutzmasken weit mehr bereichert haben soll als ohnehin bekannt. Es wurde laut Generalstaatsanwaltschaft ein sogenannter Vermögensarrest in Höhe von bis zu 997.000 Euro gegen Hauptmann verhängt.

Der Name Hauptmann fiel zuletzt aber auch in Zusammenhang mit einem weiteren Skandal, der die Unionsparteien erschüttert: die Aserbaidschan-Affäre. Dabei geht es darum, dass die autoritäre Regierung des Öl-Landes europäische Politiker großzügig dafür entlohnen soll, das Land im positiven, vor allem demokratischen Licht erscheinen zu lassen und damit Verstöße gegen die Menschenrechte zu verschleiern. Neben Hauptmann sollen unter anderen die CDU/CSU-Politiker:innen Axel Fischer, Eduard Lintner und Karin Strenz, die vor wenigen Tagen auf einem Rückflug von Kuba verstarb, involviert (gewesen) sein. Gegen mehrere Verdächtige wird ermittelt. Wie das System im Detail funktioniert, offenbarte der österreichische Soziologe Gerald Knaus am Donnerstagabend bei "Markus Lanz" im ZDF.

Aserbaidschan-Affäre: So funktioniert das System

Knaus, Chef des Think Tanks Europäische Stabilitätsinitiative (ESI), und seine Kollegen haben nach eigener Aussage seit rund zehn Jahre die Vorgänge rund um die Lobbyarbeit Aserbaidschans immer wieder recherchiert und analysiert. Hier die wichtigsten Aussagen des 51-Jährigen dazu bei "Lanz":

Gerald Knaus ...

... über die Machtverhältnisse in Aserbaidschan:

"Die kleine kaukasische Republik hat sich mittlerweile in eine typische Despotie mit einer Familie, der alles zusteht, verwandelt. Der Präsident, Alijew, ist der Sohn des vorigen Präsidenten, der bereits als KGB-Chef seit 1969 dort regiert hat. Die Vize-Präsidentin ist die Frau des Präsidenten. Die Kinder beherrschen den größten Teil der Wirtschaft. Die Verwandten, also Clans, verwenden den Reichtum des im Kaspischen Meer geförderten Öl und Gas. Um den Wunsch nach Bewunderung auch im Ausland zu erfüllen, wird das Geld auch eingesetzt, um etwa in Mexiko City Statuen der Familie ins Zentrum der Stadt zu bringen, und dafür fünf Millionen Dollar zu zahlen. In Kanada, in Istanbul, in Georgien, in Belgrad werden überall Parks bezahlt. Aber das ist das eher Lustige an der Sache."

... über "Kaviardiplomatie"

"Kaviardiplomatie ist etwas viel Düsteres. Gleichzeitig wird Geld, und zwar große Millionenbeträge seit jetzt schon fast seit zwei Jahrzehnten verwendet um in einer Institution - dem Europarat -, die geschaffen wurde nach dem zweiten Weltkrieg, um Demokratien zusammenzubringen, um sich gegenseitig an die Menschenrechte zu erinnern, den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof zu schaffen, die Menschenrechtskonvention – in diesem Europarat Abgeordnete, die aus nationalen Parlamenten der Mitgliedsstaaten dorthin kommen, systematisch zu bestechen. Mit dem Ziel, dass diese Abgeordneten dann, mit erstaunlichem Erfolg dieser Kaviarpolitik, für Aserbaidschan das Regime weißwaschen. Also: Man schickt Wahlbeobachter, und obwohl die Wahlen waren wie in der DDR, sagt man: 'Diese Wahlen waren demokratisch und frei.' Oder es gibt Abstimmungen über politische Gefangene (...), und 125 Italiener, Franzosen. Spanier, Russen und andere stimmen dann im Europarat ab und sagen: 'Es gibt keine politischen Gefangenen'." Das geschehe unter den Augen nicht beteiligter Abgeordneter und funktioniere dennoch.

... über das Rekrutieren von Politikern:

"Neu gewählte Abgeordnete kommen nach Straßburg (...). Und dann tritt einer, der sich schon als Freund Aserbaidschans zu erkennen gibt, an sie heran und fragt: 'Was haltet Ihr davon, mal in dieses schöne Land zu fahren, nehmt die Frau mit, Frist Class Flug, Zwischenaufenthalt in Istanbul, schaut Euch das mal an.' Wenn man dann sagt (...): 'Ja, und da würde ich dann auch gerne über Menschenrechte reden, weil ich habe gelesen, gerade wurden wieder Journalisten eingesperrt', kommt die Einladung nicht. Wenn man aber sagt: 'Ja, das interessiert mich', dann wird man eingeladen. Dann kommt man nach Aserbaidschan in ein Hotel und dann liegen Geschenke im Zimmer. Eine Schweizer Abgeordnete hat den Schmuck mitgenommen und hat berichtet, der war Tausende Euro wert."

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... über den Weg des Geldes

Ein italienischer Abgeordneter, Luca Volontè, der 2011/2012 nach Aserbaidschan gefahren sei, berichtet Knaus, habe anschließend an den Mann geschrieben, "der im Europarat Geld verteilt hat", und sich für die "großartigen Geschenke" bedankt. Danach sei es zur nächsten Stufe gekommen - nämlich Geldtransfers. Volontè habe 2012 eine Firma eingerichtet, "14 Tage später kamen Hunderttausende Euro über Briefkastenfirmen in Großbritannien, Bankkonten in den baltischen Staaten, ominöse Besitzer in den Seychellen und in Belize, aber zeichnungsberechtigt waren Aserbaidschanis. Die Gelder kamen auf sein Bankkonto in Mailand. Insgesamt 2,4 Millionen Euro für einen Abgeordneten. Luca Volontè war der Vorsitzende der EVP, der größten Fraktion, und da ging es ganz konkret um eine Abstimmung über politische Gefangene." Aufgrund der in einem Bericht dargelegten Beobachtungen Knaus' und seiner Kollegen der Vorgänge sei danach vier Jahre nichts geschehen, ehe die Kaviardiplomatie noch intensiver weitergegangen sei, so Knaus.

... über die Verstrickung von Unionspolitikern:

Der CSU-Politiker Eduard Lintner "war ein ehemaliger Staatssekretär. Er war in der parlamentarischen Versammlung des Europarats. Schon in seiner aktiven Zeit ist er immer aufgefallen, dass er Aserbaidschan bei jeder Abstimmung verteidigt hat", so Knaus. Lintner sei "wie viele andere" in das Land zur Wahlbeobachtung gefahren, um dort - wie zum Beispeil 2013 - zu sagen, die Wahlen seien so gut organisiert wie in Deutschland. "Das waren Wahlen, wo Langzeitbeobachter der OSZE, die Wochen dort waren, gesagt haben: 'Diese Wahlen waren mit die schlimmsten, die manipuliertesten, die sie je beobachtet haben.'"

Auch die CDU-Politikerin Karin Strentz kam in einer privat organisierten Wahlbeobachtung im Jahr 2010, die in der "Lanz"-Sendung eingespielt wurde, vor Kameras zu dem Schluss, dass es nach internationalen Standards nichts an den Wahlen in Aserbaidschan zu kritisieren gebe. Knaus: "Das war gar keine offizielle Mission. Das hat Herr Lintner, der zu diesem Zeitpunkt (...) offizieller Lobbyist für Aserbaidschan (war), mit Geld aus Aserbaidschan bezahlt. Und die Leute, die da sitzen, haben in den darauffolgenden Jahren eine Schlüsselrolle gespielt. Viele von denen wurden in einem Bericht, den eine unabhängige Kommission aus Richtern 2018 veröffentlicht hat, gerügt, haben jetzt Hausverbot im Europarat, aber bis zu ihrem tragischen Tod vor wenigen Tagen war Frau Strentz weiterhin im Bundestag." 

... zum Vertrauensverlust in CDU/CSU und die Demokratie

"Das Problem ist, und das ist auch eine Frage, da geht es um Vertrauen und Demokratie: Hätte in diesem Fall (...) die CDU und im Fall Anderer auch die CSU vor einigen Jahren, als eigentlich klar wurde, hier läuft etwas schief, dass das systemisch ist, (...) dass es da Mechanismen gab, wo eine Generation von Abgeordneten nach der anderen die gleiche unerklärliche Liebe zu Aserbaidschan entwickelt haben, und dass dann die Partei nicht reagiert hat (...), dass  (..) politisch keine richtige Reaktion erfolgte bis jetzt, das untergräbt natürlich das Vertrauen. (...) Denn letztlich geht es worum? Warum macht Aserbaidschan so etwas? Warum wird da soviel Geld ausgegeben? Es geht darum, die Idee zu zerstören, dass man zwischen politischen Gefangenen und Verbrechern, zwischen gefälschten Wahlen und echten Wahlen noch unterscheiden kann."

... die Auswirkungen der Korruption

In den Monaten nach einer Abstimmung im Europarat, bei der 125 Abgeordnete aus ganz Europa gegen die Resolution eines Deutschen stimmten, in der es hieß, es gebe in Aserbaidschan politische Gefangene, die freigelassen werden müssten, so Knaus "wurden alle in Aserbaidschan, die mit dem Europarat zusammengearbeitet haben, verhaftet. Es gab eine Welle von Verhaftungen. Aserbaidschan hatte den Vorsitz im Europarat zum gleichen Zeitpunkt, zu dem die führenden Menschenrechtler in den Gefängnissen saßen. (...)" Das Ziel sei es, den Glauben zu zerstören, dass es irgendwo Institutionen gibt, die nicht käuflich seien, so Knaus. (...) "Zu sehen, wie leicht diese Institutionen unterwandert werden können, hat mich und meine Kollegen schockiert." 

Sehen Sie die komplette Ausgabe der Sendung "Markus Lanz" vom 25.3.2021 in der ZDF-Mediathek.

Quellen: Nachrichtenagentur DPA, "Markus Lanz"; Europäische Stabilitäsinitiative; Blog "Rumeli Observer"

dho / tkr

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