Politik

Was ist die Aserbaidschan-Connection, und wer machte da ­­ mit?

Von Reinhard Veser
F.A.S.

Im Sommer 2006 wurde die fast 1800 Kilometer lange Ölpipeline in Betrieb genommen, die von Baku über Tiflis in den türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan führt. Für Aserbaidschan war das ein lange ersehnter Wendepunkt in seiner kurzen Geschichte als unabhängiger Staat: Damit konnte das Öl aus seinen reichen Vorkommen endlich auf die Weltmärkte gelangen. Schon allein die Aussicht auf diesen Moment hatte in den Jahren zuvor das Land verändert, das nach dem Ende der Sowjetunion vollkommen am Boden gelegen hatte.

Aserbaidschans Unabhängigkeit hatte mit einer Niederlage begonnen, die in der ganzen, sonst zwischen politischen Lagern zerrissenen aserbaidschanischen Gesellschaft als schwere Demütigung empfunden wurde – dem verlorenen Krieg mit Armenien um Nagornyj Karabach. Ein Teil des Landes stand danach unter fremder Kontrolle, etwa eine halbe Million Vertriebene hausten unter elenden Bedingungen in Lagern, Bauruinen, Wohnheimen, die Wirtschaft war im freien Fall.

Das Öl brachte ab 2006 sehr viel Geld ins Land. In Baku war das schon rasch zu sehen. Und das Öl und die Aussicht auf die baldige Ausbeutung großer Gasfelder konnten noch mehr: Sie verschafften Aserbaidschan einen Platz auf der mentalen Landkarte vieler europäischer Politiker. Denn die EU war sich damals gerade durch den ersten russisch-ukrainischen Gasstreit schmerzlich ihrer Abhängigkeit von Russland bewusst geworden. Aserbaidschan versprach, zur Diversifizierung der Energieversorgung der EU beizutragen.

Das Amt vom Vater geerbt: Ilham Alijew scheut keine Mittel, die Interessen seines Landes durchzusetzen. dpa

Etwa in dieser Zeit nahm jene Geschichte ihren Anfang, wegen der heute in der CDU viele nervös werden, sobald die Rede von Aserbaidschan oder Baku ist. Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew, der das Amt 2003 von seinem Vater geerbt hatte, wollte die neuen finanziellen Möglichkeiten seines Landes nutzen, um sich in Europa Ansehen, Gehör und Einfluss zu verschaffen. Ein Teil dieses Werbens geschah ganz offen. Ab 2006 entstanden in verschiedenen europäischen Ländern Organisationen, die sich als Teil der Zivilgesellschaft darstellten, mit viel Geld ausgestattet waren und auf Politiker, Journalisten und Kulturschaffende zugingen. Sie veranstalteten Konferenzen, Wirtschaftstage und Konzerte, luden zu Reisen nach Aserbaidschan ein. Es wurden Organisationen wie das Deutsch-Aserbaidschanische Forum gegründet, in dem Manager, Politiker, Wissenschaftler aus beiden Ländern zusammenkamen. Der staatliche Ölkonzern Socar bot sich allerlei kulturellen und sportlichen Initiativen als Sponsor an.

Zunächst ließen sich diese Bemühungen ganz gut an. In Deutschland konnte Baku zwei gut vernetzte ehemalige Politiker aus der Union für sich gewinnen: den ehemaligen Staatssekretär im Bundesinnenministerium Eduard Lintner von der CSU, der nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag 2009 eine Firma namens „Gesellschaft zur Förderung der deutsch-aserbaidschanischen Beziehungen“ gründete. Und Otto Hauser von der damals noch einflussreichen baden-württembergischen CDU, den letzten Regierungssprecher von Bundeskanzler Helmut Kohl. Er eröffnete 2010 in Stuttgart ein Honorarkonsulat Aserbaidschans.

Unglücklich: Philipp Mißfelder ließ sich von einer aserbaidschanischen Organisation umgarnen. dpa

Dem Chef einer in London beheimateten Organisation namens „The European Azerbaijan Society“, kurz TEAS, mit Filialen in Berlin, Paris und Brüssel gelang es, gute Beziehungen zu Philipp Mißfelder zu knüpfen – damals Vorsitzender der Jungen Union, außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag und in den Augen vieler Beobachter und Parteifreunde einer der kommenden Stars der deutschen Politik. TEAS-Chef Tale Heydarov, der Sohn eines einflussreichen aserbaidschanischen Ministers, durfte im Oktober 2010 auf dem Deutschland-Tag der JU in Potsdam sprechen, wo er Mißfelder zur Wiederwahl gratulierte und für engere Beziehungen zwischen Deutschland und Aserbaidschan sowie zwischen der JU und seiner Organisation warb.

Aber Aserbaidschan hatte ein Imageproblem – und mehr als nur das. Menschenrechtsorganisationen fanden mit Berichten über politische Gefangene, drangsalierte Oppositionsparteien, verprügelte Journalisten und gefälschte Wahlen in der Öffentlichkeit mehr Gehör als Lobbyisten, die Aserbaidschan als modernes, weltoffenes und westliches Land auf dem Weg zur Demokratie porträtieren wollten. Daher stießen die freundlichen Avancen rasch an Grenzen. Als das „Azerbaijan Student Network“ im Herbst 2012 als Sponsor den Landestag der Jungen Union in Baden-Württemberg fördern wollte, zwang die Mutterpartei den damaligen JU-Landeschef Nikolas Löbel, das Geld zurückzuzahlen. Die CDU fürchtete einen schweren Rufschaden. Und nicht nur politische Parteien wiesen aserbaidschanisches Geld zurück: Als der Bürgermeister von Oppenheim in Rheinland-Pfalz und SPD-Bundestagsabgeordnete Marcus Held 2014 dem Sportverein des kleinen Örtchens Dexheim eine Spende des Ölkonzerns Socar vermitteln wollte, lehnte die Vereinsführung ab. Lieber sammelten die Sportler weiter mühsam Kleinspenden für den neuen Rasen ihres Platzes.

Der Versuch des aserbaidschanischen Regimes, diesem Problem entgegenzuwirken, führt nach Straßburg – und zur dunklen Seite seines Strebens nach Einfluss in Europa. In Straßburg ist der Sitz des Europarats, einer 1949 gegründeten Staatenorganisation, die sich als Club von Demokratien versteht und ihre wesentliche Aufgabe darin sieht, die Einhaltung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit in ihren Mitgliedstaaten zu überwachen. Aserbaidschan war trotz vieler Bedenken 2001 aufgenommen worden. Es hatte diese Mitgliedschaft als Prestigegewinn angestrebt, haderte aber praktisch von seinem Beitritt an damit. Denn in den regelmäßigen Berichten der Parlamentarischen Versammlung des Europarats über die Lage in Aserbaidschan wurde anfangs ein ungeschöntes Bild von der Menschenrechtslage im Land dargestellt. Die Berichte klangen so ähnlich wie die Anklagen nichtstaatlicher Menschenrechtsorganisationen, hatten aber ein amtliches Siegel.

Schon früh versuchte die aserbaidschanische Delegation in der Parlamentarischen Versammlung, Einfluss darauf zu nehmen, welche Abgeordneten zu Berichterstattern für Aserbai­dschan bestimmt wurden. Und viele Indizien sprechen dafür, dass Aserbaidschan etwa zu der Zeit, zu der dank der Pipeline Baku–Tiflis–Ceyhan Geld in das Land zu fließen begann, vom normalen Werben für Mehrheiten dazu überging, Stimmen zu kaufen. Erstmals öffentlich wurde das 2012 durch einen „Kaviar-Diplomatie“ betitelten Bericht des Thinktanks „European Stability Initiative“. Darin wurde auf der Grundlage von anonymen aserbaidschanischen Insider-Berichten und einer minutiösen Nachzeichnung von Entscheidungsprozessen in der Parlamentarischen Versammlung gezeigt, wie Aserbaidschan mit kostbaren Geschenken, Einladungen, Urlaubsreisen und anderen Vergünstigungen ein Netz von Parteigängern aus EU-Mitgliedstaaten aufgebaut hatte, die nach und nach in Straßburg in die entscheidenden Positionen rückten.

Der Bundestag hob seine Immunität auf: Sein Engagement hat Axel Fischer zum Verdächtigen gemacht. dpa

Auf dem Höhepunkt des aserbaidschanischen Einflusses im Europarat stellte diese Seilschaft den Vorsitzenden der Versammlung, eine Mehrheit in ihrem Präsidium und mehrere Fraktionsvorsitzende. Diese Internationale der Käuflichkeit beschränkte sich nicht auf ein politisches Lager. In ihr fanden spanische, italienische und deutsche Christdemokraten, belgische, französische und britische Liberale, polnische Sozialisten und viele andere zusammen. Aus Deutschland gehörte zu ihr der Karlsruher CDU-Abgeordnete Axel Fischer, gegen den die Münchner Generalstaatsanwaltschaft seit Anfang März wegen des Verdachts ermittelt, er habe gegen Geld dazu beigetragen, Entscheidungen im Sinne Aserbai­dschans herbeizuführen. Fischer war zu unterschiedlichen Zeiten Leiter der deutschen Delegation, Vorsitzender der christlich-demokratischen EVP-Fraktion und stellvertretender Präsident der Versammlung. Gegen die vor einer Woche verstorbene CDU-Politikerin Karin Strenz aus Mecklenburg-Vorpommern hatte die Frankfurter Staatsanwaltschaft schon vor einem Jahr wegen ähnlicher Vorwürfe wie gegen Fischer zu ermitteln begonnen.

Wo positive Anreize allein nicht reichten, griff das aserbaidschanische Regime auch zu anderen Mitteln. Nachdem der SPD-Bundestagsabgeordnete Christoph Strässer 2009 gegen den Willen der Aserbaidschan-Connection beauftragt worden war, einen Bericht über die Lage politischer Gefangener zu verfassen, wurde eine Kampagne aus Intrigen und Verleumdungen gegen ihn losgetreten. Als er sich nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag 2017 daran erinnerte, sprach er von „KGB-Methoden“ – was naheliegt, weil unter seinen Gegenspielern aus Aserbaidschan tatsächlich frühere Agenten des sowjetischen Geheimdienstes waren. In aserbaidschanischen Medien wurden frei erfundene Behauptungen über Strässer aufgestellt, die dann in der Parlamentarischen Versammlung von Abgeordneten wiederholt wurden, es gab Verleumdungen bis in sein privates Umfeld hinein, Einschüchterungsversuche. „Das hat mein Bewusstsein dafür geschärft, was die Regimekritiker in Aserbaidschan aushalten müssen“, sagte Strässer.

Bis ins Private hinein verleumdet: Christoph Strässer bekam zu spüren, wie weit das Regime geht. dpa

Strässers Bericht über die politischen Gefangenen wurde in der Parlamentarischen Versammlung Anfang 2013 abgelehnt. Der italienische Christdemokrat Luca Volontè, der dabei als Vorsitzender der EVP-Fraktion im Hintergrund die Fäden gezogen hatte, ist im Januar dieses Jahres in Mailand in erster Instanz zu vier Jahren Haft verurteilt worden: Er hatte für seine Dienste aus Aserbaidschan auf verschlungenen Wegen insgesamt etwa 2,4 Millionen Euro erhalten. Kurzfristig brachte die Ablehnung des Strässer-Berichts dem aserbaidschanischen Regime ein paar schöne Propaganda-Erfolge. So zum Beispiel, als Präsident Ilham Alijew kurz darauf während eines Besuchs bei der Nato in Brüssel nach politischen Gefangenen in seinem Land befragt wurde: Die gebe es nicht, antwortete er, das sei gerade vom Europarat bestätigt worden.

Die aserbaidschanische Werbe-Offensive war dennoch zunichtegemacht, als die Versuche, den Europarat zu korrumpieren, ein paar Jahre später aufgedeckt wurden. Viele der Organisationen, die offen für Bakus Politik warben, schliefen ein, weil sie ihre Ziele nicht mehr erreichen konnten. Die Londoner Zentrale von „The European Azerbaijan Society“, die einst den inzwischen verstorbenen JU-Vorsitzenden Philipp Mißfelder umgarnte, wurde 2018 aufgelöst. Ihr deutscher Ableger wurde laut Firmendatenbanken voriges Jahr in Oaktree Berlin GmbH umbenannt. Auf der Website der Studentenorganisation, die vor neun Jahren einen Landestag der Jungen Union in Baden-Württemberg fördern wollte, stammen die neuesten Einträge von April 2020; darin wird Studenten der Rat gegeben, ihre Studienarbeiten von kompetenten Dienstleistern schreiben zu lassen.

Vor Gericht: Marcus Held muss sich wegen Bestechung, Bestechlichkeit, Betrug und Untreue verantworten. dpa

Was in Deutschland von der einstigen PR-Offensive Aserbaidschans geblieben ist, ist jene Gruppe von Bundestagsabgeordneten überwiegend aus den Unionsparteien, die sich in all den Jahren weiter regelmäßig gegenüber aserbaidschanischen Medien im Sinne des Regimes äußerten, Anfragen an die Bundesregierung stellten, Wirtschaftstage organisierten und hin und wieder mit unklarem politischen Ziel nach Baku gereist sind. Bis zu den Ermittlungen gegen Axel Fischer und zum Beginn der Maskenaffäre wenige Tage darauf ist das von einer breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen worden. Nun sind diese Abgeordneten wegen ihres Engagements für Aserbaidschan für ihre Parteien zu einem Problem geworden. Oder ist es umgekehrt – waren sie offen für das Werben aus Baku, weil sie ohnehin eine Neigung zu Geschäften haben, die in den Augen der Bürger ein Problem sind? Die Maskengeschäfte der CDU-Abgeordneten Nikolas Löbel und Mark Hauptmann haben mit Aserbaidschan nichts zu tun. Und der SPD-Mann Marcus Held, der einst einen Sportplatz durch Aserbaidschans Ölkonzern Socar finanzieren lassen wollte, steht in Mainz wegen Bestechung, Bestechlichkeit, Betrug und Untreue in seinem einstigen Amt als Bürgermeister von Oppenheim vor Gericht.

Dem aserbaidschanischen Herrscher Ilham Alijew dürfte das Schicksal dieser Männer gleichgültig sein. Er braucht sie nicht mehr. Ein zentrales Ziel seiner Einflusspolitik war es immer, nach dem verlorenen Krieg um Nagornyj Karabach in Europa die Propaganda-Schlacht um die Deutung dieses Konfliktes zu gewinnen. Aber mit dem Ölgeld hat Aserbaidschan nicht nur Abgeordnete gekauft, sondern in viel größerem Stile auch Waffen. Mit der Begründung, die internationale Gemeinschaft habe nichts unternommen, hat Alijew im vorigen Herbst einen neuen Krieg um Karabach begonnen, aus dem sein Land als Sieger hervorging.

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