Politische Gefangene? Hier doch nicht! (Political Prisoners? Certainly not here!) – in FAS

Article on the Council of Europe, Azerbaijan and political prisoners in Europe in today’s Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Aserbaidschan verdient viel Geld mit Öl und Gas. Jetzt darf es sogar den Europarat führen. Klar, in dem Land läuft ja alles super, es gibt sogar freie Wahlen. Glaubt der Europarat.

Von Gerald Knaus

Im Januar 2013 begann in Madrid eine wunderbare Freundschaft. Die Kaukasusrepublik Aserbaidschan wurde zum Trikotsponsor des Fußballclubs Atletico Madrid, der Überraschungsmannschaft dieser Saison. Wenn Atletico am kommenden Samstag im Finale der Champions League gegen den Stadtrivalen von Real Madrid antritt, steht auf den Trikots der Spieler: „Azerbaijan – Land of Fire“. Zwölf Millionen ließ sich das Land den Werbevertrag damals kosten. Eine gute Investition: Allein das Finale der Champions League werden Hunderte Millionen Zuschauer sehen.

Mit dem Januar 2013 verbindet Aserbaidschans Führung noch ein weiteres erfreuliches Ereignis. Am 23. Januar 2013 fand eine in jeder Hinsicht historische Debatte in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg statt: Am Ende stimmten 125 Abgeordnete aus ganz Europa gegen eine Resolution, die den Umgang Aserbaidschans mit politischen Gefangenen verurteilte. Nur 79 Abgeordnete votierten für die Annahme der Resolution. Noch nie in der Geschichte des Europarates hatten so viele Parlamentarier an einer Abstimmung teilgenommen.

Fast vier Jahre lang war Christoph Strässer, ein Sozialdemokrat aus Münster und Autor der Resolution, auf Widerstand gestoßen, wie ihn kein Berichterstatter in der Geschichte des Europarates zuvor je erlebt hatte. Dreimal verweigerte ihm Aserbaidschan die Einreise. Sogar von deutschen Freunden des Regimes wurde er angegriffen. Einer von ihnen, der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken Hakki Keskin, beschwerte sich brieflich beim SPD-Vorsitzenden über Strässer.

Politiker aus Baku erklärten derweil unermüdlich, dass der Begriff „politischer Gefangener“ keinerlei Sinn ergäbe. Schließlich gäbe es gar keine Dissidenten im Land. In den Gefängnissen säßen lediglich Rauschgifthändler, Gewalttäter oder Terroristen. Dazu wurden internationale Konferenzen abgehalten und Abgeordnete des Europarates in großer Zahl nach Aserbaidschan eingeladen.

Als diese Sichtweise im Januar 2013 von einer Mehrheit der Abgeordneten im Parlament des Europarats bestätigt wurde, brach in der aserbaidschanischen Delegation Jubel aus. Einem Berichterstatter erschien es so, „als hätte Aserbaidschan eben die Champions League gewonnen“. Christoph Strässer erlebte dagegen einen „schwarzen Tag für den Europarat“. Bei einer Pressekonferenz in Straßburg sagte er am selben Abend: „Es stellt sich die Frage, welche Zukunft diese Organisation noch hat.“ Die Pressekonferenz war schlecht besucht. Keine der großen europäischen Zeitungen berichtete über die Abstimmung. Was ist schon der Europarat?

In Baku herrschte dagegen großer Jubel. Voller Stolz teilte der Vorsitzende der parlamentarischen Delegation Aserbaidschans mit: „Strässer muss akzeptieren, dass der Europarat Aserbaidschan gehört, und nicht ihm.“ Das stimmte sogar.

In der abgelaufenen Woche hat Aserbaidschan für ein halbes Jahr den Vorsitz im Ministerkomitee des Europarates übernommen. Das fand wieder kaum Beachtung, obwohl nun ein autoritäres Regime dem ältesten Zusammenschluss europäischer Demokratien vorsteht. Was ist schon Aserbaidschan?

Aserbaidschan ist ein reicher Ölstaat im Kaukasus, geführt von einer prunksüchtigen Familiendynastie. Die Präsidententöchter geben das Lifestylemagazin „Baku“ heraus, das auch auf Englisch erscheint, und das Regime mag es gern glitzernd. Aserbaidschan tat sich als Gastgeber von UN-Konferenzen hervor, und bald wird dort das erste Formel-1-Rennen in einer ehemaligen Sowjetrepublik stattfinden. Wo immer die lokalen Regierungen dazu bereit sind, lässt das Regime im Ausland gegen Bezahlung Statuen des 2003 verstorbenen Familienpatriarchen und ehemaligen KGB-Agenten Heydar Alijew aufstellen, in Mexico City und in Kiew, in Belgrad und in Astrachan. Nur in Niagara-on-the-Lake, einer kanadischen Kleinstadt, steht eine Büste nicht von Vater Alijew, sondern von der Frau des jetzigen Präsidenten. In Mexico wurde ein Denkmal nach Protesten wieder entfernt.

Aber solche kleine Rückschläge fallen kaum ins Gewicht. Insgesamt ist die Prestigepolitik der Herrscherfamilie ziemlich erfolgreich. Die Alijew-Stiftung restauriert katholische Kirchen in Frankreich oder einen Park in Belgrad. Auch im Philosophensaal im Kapitolinischen Museum in Rom fehlt nicht der Hinweis auf den Sponsor aus dem Kaukasus. Westlichen Denkfabriken wird Geld angeboten, damit sie in Baku Konferenzen zu allen möglichen Themen veranstalten. Nobelpreisträger werden zum „Baku International Humanitarian Forum“ geladen – 2013 kamen immerhin 13 Laureaten. Vielleicht lächelt der eine oder andere von ihnen über die neureiche Politik der Gastgeber, doch am Ende lacht die erste Familie in Baku. Denn offensichtlich sind alle scharf auf das Geld aus Aserbaidschan, und davon gibt es wegen des Energiereichtums sehr viel.

Dazu kommt eine gewisse strategische Bedeutung des Landes. Aserbaidschan ist wichtig für den Rückzug westlicher Truppen aus Afghanistan. Es unterhält eine enge Kooperation mit Israel und ist ein Horchposten westlicher Geheimdienste an der Grenze zum Iran. Auch die Aussicht auf weitere Geschäfte mit Öl und Gas spielt eine Rolle. Aserbaidschan hat klugerweise Firmen aus der ganzen Welt eingebunden, Russen, Amerikaner und Türken, British Petroleum ebenso wie die norwegische Statoil. Hohe demokratische Standards erwarten diese Partner nicht. Die vorherrschende Meinung in westlichen Hauptstädten lautet: Hauptsache, Aserbaidschan ist stabil.

Mit dem Europarat ist es ein wenig wie mit Aserbaidschan. Er ist – zumindest gefühlt – weit weg und steht nicht im Zentrum europäischer Politik. Dabei war er einmal die ehrwürdigste Institution. Er wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als geistige Union westlicher Demokratien ins Leben gerufen, zur Abgrenzung von sowjetischen und faschistischen Diktaturen. Seine Grundlage und sein Alleinstellungsmerkmal ist die 1950 im Palazzo Barberini in Rom von zehn Staaten unterzeichnete Europäische Menschenrechtskonvention, damals das stärkste verbindliche internationale Instrument zum Schutz von Menschenrechten. Weder Francos Spanien noch später das Griechenland der Militärjunta durften Mitglieder werden, Weißrussland fehlt bis heute.

Der zum Europarat gehörende, aber unabhängige Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist für den Schutz der Rechte von 800 Millionen Menschen zuständig. Aber die EU hat sich inzwischen auch einen Menschenrechtsbeauftragten, eine Agentur für Menschenrechte und einen Grundrechtekatalog zugelegt. Es gab in Europa überhaupt noch nie so viele Menschenrechtsbeauftragte wie heute. Es wimmelt von ihnen. Allerdings dient das nicht unbedingt dem Schutz der Menschenrechte.

Aserbaidschan musste sich 2000 zwar vor dem Europarat dazu verpflichten, keine politischen Gefangenen mehr zu machen. Doch nach 2006 wurde die Kritik an Aserbaidschan immer leiser. Heute sind die Berichterstatter des Europarats für Azerbaidschan – aus Spanien und Malta – erklärte Bewunderer der Fortschritte Aserbaidschans unter Ilham Alijew. Und Alijew ist jetzt Fan des Europarats. Anfang des Jahres sagte er in Brüssel, es könne in Aserbaidschan gar keine politischen Gefangenen geben, schließlich habe das der Europarat, „eine der wichtigsten Institutionen der Welt“ selbst festgestellt. Auch das stimmte.

Seit der denkwürdigen Straßburger Abstimmung vom Januar 2013 hat die Repression in Aserbaidschan zugenommen. Die Liste der Verhafteten aus Medien, Politik und Zivilgesellschaft ist lang. Laut Amnesty International gibt es in keinem anderen Land des Europarates so viele politische Gefangene wie in Aserbaidschan. Sie tragen komplizierte Namen: Tofiq Yagublu (fünf Jahre Haft), Yadigar Sadygov (sechs Jahre Haft), Avaz Zeynalli (neun Jahre), Rashad Ramazanov, Sardar Alibeyli, Rashad Hasanov, Uzeyir Mammadli und viele mehr. Wer merkt sich schon solche Namen? Appelle und Berichte von Menschenrechtsorganisationen, die sich für diese Leute einsetzen, verhallen ungehört.

Einige Regimegegner haben mit dem Europarat zusammengearbeitet. Zum Beispiel Ilgar Mammadov. Mammadov wurde zwei Wochen nach der Abstimmung im Januar 2013 verhaftet. Seinen Namen kannte man in Straßburg, denn er war nicht nur ein möglicher Kandidat für die aserbaidschanische Präsidentenwahl im Oktober 2013, sondern leitete auch die „Schule für Politik“, ein Demokratisierungsprojekt des Europarates in Baku. Im März 2014 wurde Mammadov unter fadenscheinigen Vorwürfen zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Thorbjörn Jagland, der Generalsekretär des Europarates, schrieb eine knappe Protestnote. Genützt hat es nichts.

Bei der Präsidentenwahl wurde Alijew mit 85 Prozent der Stimmen wiedergewählt, zum dritten Mal. Die OSZE-Wahlbeobachtungsmission Odihr war dabei und zeigte sich anschließend entsetzt. Minutiös und glaubwürdig schilderten die Beobachter in ihrem Abschlussbericht die vielen Betrügereien. Auch der Europarat schickte eine Delegation in das Land. Sie kam zu dem Schluss, die Wahl sei „frei und fair“ gewesen.

Kurz nach der Wahl wurde Anar Mammadli verhaftet. Mammadli war Vorsitzender einer international angesehenen örtlichen Wahlbeobachtungsorganisation, er hatte Christoph Strässer bei seinem Bericht über politische Gefangene unterstützt. Wiederum wurden die Europäer vorgeführt – diesmal regelrecht lustvoll. Gerade erst hatte der Vorsitzende der Wahlbeobachter der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, ein britischer Konservativer, die Präsidentenwahl gelobt. Warum sollte dagegen jemand protestieren? Ein anderer britischer Konservativer musste gute Miene zum bösen Spiel machen. Außenminister Hague nahm einen Tag nach der Verhaftung Mammadlis an der Unterzeichnung eines Vertrags von BP und Aserbaidschan über ein viele Milliarden Euro teures Gasprojekt teil.

Beseelt von den eigenen PR-Erfolgen, kennt das Regime in Baku inzwischen keine Zurückhaltung mehr. Kürzlich präsentierte der Außenminister Aserbaidschans die Prioritäten der Europaratspräsidentschaft seines Landes bei einem Ministertreffen der Mitgliedsländer. Unter anderem will Aserbaidschan Konferenzen zu Menschenrechtserziehung und der Demokratisierung der Justiz abhalten. Am Tag, als der Minister in Wien all die schönen Projekte vorstellte, wurden in Baku acht junge Aktivisten der Organisation NIDA zu langen Gefängnisstrafen verurteilt. Der Europarat schwieg dazu in Wien, auch sein Generalsekretär Jagland. Der Norweger sitzt dem Friedensnobelpreis-Komitee in Oslo vor. Es hat in der Vergangenheit einige Dissidenten und politische Gefangene ausgezeichnet, von Andrei Sacharow bis Nelson Mandela. Aber zu Aserbaidschan fällt Jagland wenig ein.

Mit dieser Zurückhaltung ist er nicht allein. Eine griechische Außenministerin, deutsche Linke, spanische Konservative, englische Liberale, polnische Exkommunisten, Lords in England, Italiener aus allen Parteien stimmen im Europarat so, wie Aserbaidschan es will. Seltsam. Sie alle haben im Januar 2013 durch ihre Stimme gegen den Bericht über politische Gefangene den Weg für die derzeitige Verhaftungswelle freigemacht. Sie alle verraten die Werte Europas.

An diese Werte erinnerten ausgerechnet jene, die in Aserbaidschan verhaftet werden. Die acht jungen NIDA-Aktivisten erinnerten an ihrem letzten Prozesstag vor wenigen Wochen an Solschenizyns Appell von 1975, nicht mit der Lüge zu leben. Solschenizyn habe geschrieben, despotische Regime seien von der Beteiligung aller an den Lügen abhängig. Er habe geschrieben, „dass der einfachste und am besten erreichbare Schlüssel zu unserer von uns selbst vernachlässigten Befreiung direkt vor uns liegt: in der Nichtteilnahme an Lügen“.

Es klingt so einfach. Aber es ist offenbar unheimlich schwer. Selbst für frei gewählte Abgeordneten aus freien Ländern.

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