Erdgas und Menschenrechte (Petroleum gas and human rights) – in FAZ

Aserbaidschan übernimmt den Vorsitz im Europarat – und der ignoriert die Menschenrechtsverletzungen des Regimes in Baku auf eine Weise, die Fragen nach Sinn und Zweck dieser Organisation aufwirft / Von Michael Martens

ISTANBUL, 13. Mai. An diesem Mittwoch übernimmt Aserbaidschan den Vorsitz im Europarat. „Europas führende Organisation für Menschenrechte“, wie sich der Europarat mit Sitz in Straßburg selbst nennt, hat 47 Mitgliedsstaaten (nur Weißrussland und das Kosovo gehören nicht dazu), mehr als 2.200 Angestellte und ein Jahresbudget von etwa 400 Millionen Euro. Die bekannteste Einrichtung des Europarats ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Dort können Bürger aller Mitgliedsländer Klage gegen ihre Staaten einreichen, wenn diese gegen die europäische Menschenrechtskonvention verstoßen haben. Denn um Mitglied im Europarat zu werden, muss ein Staat diese Konvention unterzeichnet haben und sich daran halten – theoretisch zumindest.

Nun wird also Aserbaidschan den Europarat repräsentieren, und in Baku werden in den kommenden Monaten aufwendige Konferenzen über die Bedeutung der Menschenrechte abgehalten. Viele Gäste werden kommen, denn obwohl Aserbaidschan kaum mehr als neun Millionen Einwohner hat, ist es für den Westen (und für Europa insbesondere) politisch wichtig. Eine geplante Gasleitung von Aserbaidschan über Georgien, die Türkei und Griechenland bis nach Italien könnte ein wichtiger Baustein zur Verringerung der europäischen Energieabhängigkeit von Russland werden. Ein „demokratischer Lieferant“ wäre Aserbaidschan allerdings ebenfalls nicht. Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew, der das höchste Staatsamt von seinem Vater erbte, einem ehemaligen KGB-Agenten, ist ein Diktator, der mit eiserner Faust über sein Land herrscht und Oppositionelle verfolgen lässt. Dieser Tage hat „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) aufgelistet, wie es aserbaidschanischen Journalisten, die das Regime in Baku zu kritisieren wagen oder gar zu Machtmissbrauch und Menschenrechtsverletzungen recherchieren, reihenweise ergeht: Sie werden durch die vom Regime kontrollierte Justiz zu Haftstrafen wegen Rauschgiftbesitzes, Spionage für Armenien, Anstiftung zu Unruhen, Waffenschmuggels oder ähnlicher fingierter Delikte verurteilt. „Aserbaidschan übt in den kommenden sechs Monaten ein herausragendes Amt innerhalb Europas aus, doch gleichzeitig tritt die Regierung unter Präsident Alijew die Pressefreiheit mit Füßen“, stellt ROG dazu fest.

Auch das State Department äußert sich in seinem jährlichen Menschenrechtsbericht deutlich und stellt unter anderem fest, dass das Regime in Aserbaidschan nicht nur gewaltsam gegen Journalisten und Menschenrechtsaktivisten vorgehe, Wahlbeobachter kriminalisiere oder mit Ausreiseverboten belege, sondern auch Übergriffe gegen Regierungsgegner nicht ahnde. Die Privatsphäre von Oppositionellen werde verletzt (eine Journalistin sollte mit in ihrem Schlafzimmer aufgenommenen Bildern erpresst werden, die sie beim Geschlechtsverkehr mit ihrem Partner zeigen), die Religionsfreiheit eingeschränkt. Mehrere Dutzend junge Männer kamen während ihrer Wehrdienstzeit unter ungeklärten Umständen ums Leben. Die Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ stellt es ähnlich dar: „Die Regierung Aserbaidschans schränkt systematisch jede Art von regierungskritischem Verhalten ein.“ Über die aserbaidschanischen Präsidentenwahlen im Oktober fällte die Wahlbeobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ein vernichtendes Urteil: Einschränkungen der Presse- und Versammlungsfreiheit sowie die Einschüchterung von Wählern und Oppositionskandidaten gehörten gleichsam zum Standardprogramm des Regimes. Am Wahltag selbst wurden die Beobachter auch Zeugen unverfrorener Manipulationen. In Wahllokalen wurden die Urnen mit gefälschten Wahlzetteln vollgestopft, in fast 60 Prozent der beobachteten Fälle war die Stimmauszählung von Betrug begleitet und wurde als „schlecht“ oder „sehr schlecht“ bewertet. Unter anderen wurden Stummzettel „umgeschrieben“.

Aserbaidschan ist reich an Rohstoffen und arm an Rechtstaatlichkeit. Mitte April traten acht aserbaidschanische Männer in einen Hungerstreik, um gegen einen Schauprozess zu demonstrieren, dessen Ausgang von vornherein feststand. In der vergangenen Woche wurden die Männer zu Haftstrafen von bis zu acht Jahren verurteilt. Es handelt sich nicht um Islamisten oder Rauschgifthändler, sondern um Bürgerrechtler und Mitglieder einer demokratischen Jugendgruppe. „Leider sieht es so aus, als sei Alijew mit seiner Kampagne zur Unterminierung europäischer Standards und der sie tragenden Institutionen erfolgreich“, sagt Gerald Knaus von der „Europäischen Stabilitätsinitiative“, einer in Berlin und Istanbul beheimateten Denkfabrik, die sich seit Jahren mit der Lage in Aserbaidschan befasst. „Es ist erschreckend, dass sich junge aserbaidschanische Demokraten unmittelbar vor der Übernahme des Vorsitzes im Europarat durch Aserbaidschan in einem verzweifelten Versuch, die Außenwelt auf ihre Lage aufmerksam zu machen, zu einem Hungerstreik gezwungen sehen“, so Knaus.

Sogar ehemalige aserbaidschanische Mitarbeiter des Europarats sind unter den Verhafteten. Doch im Europarat selbst ist es  nicht möglich, die Dinge beim Namen zu nennen. Jedenfalls lehnte die Parlamentarische Versammlung des Europarats im vergangenen Jahr die Annahme eines umfangreichen Berichts zur Lage politischer Gefangener in Aserbaidschan mit 125 zu 79 Stimmen und zum Teil haarsträubenden Begründungen ab. Warum schweigt der Europarat zur desaströsen Menschenrechtslage in einem seiner Mitgliedsstaaten? Man soll sich Verschwörungstheorien hüten, aber drei Umstände sind bedenkenswert. Erstens: Der sogenannte südliche Korridor könnte Gaslieferungen Aserbaidschans über die Türkei in die EU-Staaten Griechenland und Italien (und von dort in weitere Mitgliedsländer) sicherstellen. Zweitens: Die Annahme eines Berichts über die desolate Lage politischer Gefangener in Aserbaidschan durch die Abgeordneten der parlamentarischen Versammlung des Europarats wurde nicht nur von den üblichen Verdächtigen (Russland, Aserbaidschan, Türkei) abgelehnt, sondern mehrheitlich auch von den Abgeordneten aus Italien und Griechenland, so von der ehemaligen griechischen Außenministerin Dora Bakogiannis. Drittens: Zur gleichen Zeit, als in Straßburg mit Hilfe der griechischen und italienischen Abgeordneten ein vom Europarat in Auftrag gegebener kritischer Bericht über Aserbaidschans Umgang mit Regimegegnern niedergestimmt wurde, führte der staatliche aserbaidschanische Energiekonzern Socar bereits Verhandlungen mit der Regierung Griechenlands über den Kauf des griechischen Gasnetzwerks Desfa. Im Dezember 2013 wurde in Athen der Abschluss verkündet. Socar unterzeichnete eine Vereinbarung zum Kauf von 66 Prozent der Anteile an Desfa für 400 Millionen Euro.

Zwischen diesen Entwicklungen muss kein Zusammenhang bestehen, aber ignorieren muss man sie auch nicht. Fest steht, dass das Regime in Baku seinen Sieg bei der Abstimmung im Europarat zu Hause für eine neue Verhaftungswelle genutzt hat. Die Nachricht des Regimes an alle Gegner in Gefängnissen und vor der Verhaftung lautete: Ihr habt keine Chance, denn wir sind gegen euch – und der Westen ist mit uns. Schon als Aserbaidschan 2001 in den Europarat aufgenommen wurde, war es alles andere als eine solide Demokratie, doch die fromme Hoffnung lautete, die Lage in dem Kaukasusstaat werde sich mit der Zeit verbessern und der Europarat werde Aserbaidschan europäisieren. Stattdessen ist es Baku offenbar gelungen, die Mehrheit des Europarats zu aserbaidschanisieren. Die Menschenrechtslage in Aserbaidschan hat sich in den vergangenen Jahren nicht nur nicht verbessert, sondern verschlechtert.  Eigentlich sollte Aserbaidschans Vorsitz eine Debatte darüber entfachen, wie ernst der Europarat seine eigenen Konventionen noch nimmt. Jedenfalls haben jene Mitgliedsstaaten, die echte Demokratien sind, Anlass zu der Frage, was diese Institution noch sein kann und soll – und was ihre Gründungsmitglieder dafür tun können, um die Werte aufrechtzuerhalten, in deren Namen die Organisation einst gegründet wurde. Derzeit ist die Lage des Europarates ebenso bedenklich wie die Lage Aserbaidschans.

 

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